

Ein Blick ins Grüne steigert nachweislich das Wohlbefinden. Umso wichtiger kann dies sein, wenn man krank ist. Die Gestaltung von Krankenhausräumen hat einen direkten Einfluss auf den Heilungsprozess – ebenso wie strukturelle und organisatorische Faktoren. Ein neuer Ansatz dazu ist „Healing Environment“: ein ganzheitliches Konzept, das durch die Verringerung von Stressfaktoren das Wohlbefinden der Patienten steigert und so den Heilungsprozess positiv beeinflusst.
Ein heute in Deutschland geborenes Kind hat eine Lebenserwartung von rund 80 Jahren. Und der medizinische Fortschritt muss mit dem demografischen Wandel mithalten. Dies bedingt schon seit einigen Jahren einen Boom im Gesundheitswesen – und damit auch, dass sich Healthcare-Architektur den geänderten Herausforderungen stellen und sich an die neuesten medizinwissenschaftlichen Erkenntnisse anpassen muss.
„Healing Environment“ ist dabei zum zentralen Thema geworden. Der Ansatz betrachtet die Zusammenhänge zwischen baulich-funktionaler Milieugestaltung, dem psychischen und physischen Patientenzustand und den Kosten des Medizinbetriebs. Ein Beispiel: Am Karolinska-Universitätskrankenhaus in Stockholm wurde ein aus den 1970er-Jahren stammender Gebäudeteil umgebaut, in dem eine Frühgeborenenstation untergebracht ist. Es wurden neue Familienzimmer geschaffen, die es ermöglichen, dass Neugeborene permanent mit ihren Eltern zusammen sein können. Vorher waren Mütter und Babys, die in speziellen Inkubatoren liegen müssen, in verschiedenen Räumen untergebracht. Nach dem Umbau konnten auch extrem Frühgeborene (24.-28. Schwangerschaftswoche) schon vier Stunden nach dem Kaiserschnitt bei ihren Müttern liegen und den so wichtigen direkten Hautkontakt erfahren. Rund um die räumliche Neuorganisation wurde eine Reihe an familienorientierten Pflegemaßnahmen und -komponenten entwickelt und implementiert.
Nachweislich positive Effekte
Die Effekte dieser Neugestaltung sind erstaunlich: Wissenschaftler untersuchten circa 180 Babys, die in der neu gestalteten Station untergebracht waren und verglichen die Ergebnisse mit denen von 180 Babys, die nach dem alten Modell versorgt wurden. Die neue Station verkürzte den Aufenthalt im Intensivbereich um mehr als zehn Tage – und die Sterberate war geringer. Die Frühgeborenen nahmen schneller zu, und die Familien kamen besser mit der Extremsituation zurecht. Erst die Neuorganisation der Räume ermöglichte das neue Familienmodell. Und das Beispiel zeigt, dass sich Investitionen dieser Art auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten schnell bezahlt machen können, da sich die Aufenthaltsdauer in den teuren Intensivbereichen verkürzt.
Natur macht gesund
Immer mehr Projekte zeigen, dass auch die großmaßstäbliche architektonische Gestaltung nach den Grundsätzen des Healing Environment gelingen kann. Die seit 2014 im Bau befindliche Erweiterung des Herlev Krankenhauses im dänischen Herlev setzt dabei auf ein überzeugendes Konzept, nämlich auf den Fakt, dass Aufenthalte in der Natur einen nachweislich positiven Effekt auf den Heilungsprozess haben. Das renommierte dänische Architekturbüro Henning Larsen Architects hat für die Erweiterung kreisförmige Gebäudeteile konzipiert, die auf einer rechtwinkligen, versetzt angeordneten Struktur sitzen und so einladende Außenbereiche schaffen. Die neue Erweiterung steht durch ihre Kleinteiligkeit im Kontrast zu dem 120 Meter hohen bestehenden Krankenhausturm. Aus dem einzelnen Turm, der keine begehbaren Außenräume bietet, wird so eine zusammenhängend gedachte Struktur, die eine Bandbreite an verschiedenen baulichen Elementen und spannenden Außenbereichen bietet – gleich einer kleinen Ortschaft, durch die man sich ungezwungen hindurch bewegen kann. Die Dimension von 52.000 qm Bruttogeschossfläche der Erweiterung bleibt beachtlich, kommt aber aufgrund der differenzierten Aufteilung in einzelne Volumen und den daraus entstehenden Höfen und Gärten einem menschlichen Maßstab nahe.
Das Individuum im Mittelpunkt
Das direkt an den Turm angrenzende neue grüne Herz der Anlage schafft zusammen mit den vielen grünen Höfen und (Dach-)Gärten eine lebensbejahende, Energie spendende Atmosphäre, die alle Sinne anspricht: Wasser spielt dabei in Form von Wasserflächen und -becken oder als Sprühregen eine zentrale Rolle. Die Patienten profitieren maßgeblich von Aufenthalten in den Außenbereichen selbst – ebenso wie von den Ausblicken, die sich ihnen aus den Patientenzimmern auf das grüne Paradies bieten. So wird aus dem wegweisenden Krankenhausbau auf vielen Ebenen ein sinnliches Erlebnis, bei dem das Individuum spürbar im Mittelpunkt steht – Patienten, Angehörige und Mitarbeiter gleichermaßen.
Ganzheitlicher Ansatz
Der Ansatz des Healing Environment ist komplex und fußt auf der empirisch belegten Erkenntnis, dass Patienten während ihres Krankenhausaufenthaltes verschiedenen Risiken und Stressfaktoren ausgesetzt sind, die die Genesung negativ beeinflussen. Dabei spielen Organisation und Einstellung bei Diagnose und Therapie eine große Rolle, denn diese beeinflussen die Schmerz- und Angstfreiheit des Patienten. Ein zentraler Aspekt ist das den Patienten umgebende baulich-funktionale Milieu. So kann der erste Eindruck eines Notaufnahmebereichs das Meinungsbild eines Patienten über das Krankenhaus nachhaltig beeinflussen. Besonders bei Kindern und Jugendlichen ist es wichtig, dass durch die Gestaltung der Räume Ängste und somit Stress reduziert werden.
Der Patient macht mit
Das Emma Children’s Hospital zeigt eindrucksvoll, wie bei der Planung und Gestaltung von Krankenhäusern emotionale Funktionalität gelingen kann, die Patienten und Angehörigen wichtige Unterstützung bietet. Und nicht zuletzt profitieren die Krankenhausmitarbeiter von einem attraktiven und positiv besetzten Arbeitsumfeld. Betrachtet man den großen Maßstab, wird deutlich, dass Architektur für das Gesundheitswesen in Zukunft auch flexibler werden muss: Mit leichten Systemen oder Modulbauweisen lässt man der Klinik die Möglichkeit zu wachsen oder zu schrumpfen. Gleichzeitig verlangt die Alternativmedizin nach anderen Klinikmodellen, aus denen neue Typologien für Praxen und Kliniken entstehen.
International betrachtet sind die Bedürfnisse an ein „Healing Environment“ unterschiedlich: Während in Deutschland der Fokus auf einer nachhaltigen und energieeffizienten Bauweise liegt, stehen in Japan individuelle Hygieneanforderungen und die Würde des Patienten im Vordergrund. Hier geht es vor allem um die Wahrung der Intimsphäre und um die Freiheit, Wärme, Luftzufuhr und Belichtung selbst regulieren zu können.
Die Effekte einer ganzheitlich gedachten und am Menschen orientierten Planung und Gestaltung variieren hingegen nicht: Ein schnellerer Heilungsprozess, verkürzte Aufenthaltszeiten, Senkung der Kosten für den Gesundheitsbetrieb und eine höhere Compliance beim Patienten stehen überall im Vordergrund.
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