Front des LVR Landesmuseums

„Seit der Mensch baut, widerspiegeln sich in der Architektur seine körperlichen und geistigen Bedürfnisse.“ So steht es auf der Website von Architekt Dirk Michalski. Was bedeutet dieser Satz? Schließlich sind die körperlichen und geistigen Bedürfnisse der Menschen vielfältig, was wiederum direkte Anforderungen an das Thema Barrierefreiheit mit sich bringt. Paragraph 4 des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) definiert „Barrierefreiheit“ folgendermaßen: „Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.“ Was genau das in Bezug auf Architektur und Bauen bedeutet und was in diesem Zusammenhang „Universal Design“ bedeutet – darüber sprachen wir mit Dipl.-Ing. Dirk Michalski, Architekt und Sachverständiger für barrierefreies Planen und Bauen.

Herr Michalski, was verbirgt sich hinter dem Begriff „Universal Design“?

Wenn wir über Universal Design und Gebäude sprechen, dann verbirgt sich für mich dahinter folgendes: die Gestaltung und Zugänglichkeit des Gebäudes, die für die größtmögliche Nutzergruppe in einem ansprechenden universellen Design zunächst gedacht und dann von den Beteiligten ausgeführt wird. Das heißt, dass eine für möglichst alle Menschen sehr eindeutige und sichere Erkennbarkeit des Weges und der Zugänglichkeit designt wird, zum Beispiel für Türen oder Eingangssituationen.

Und was bedeutet eigentlich „barrierefrei“?

Barrierefrei heißt vor allem frei von Barrieren. Das bedeutet, dass ich keine Hindernisse gestalte oder baue, die als solche für manche Menschen dann existieren würden. Ein einfaches Beispiel: ein Rollstuhlfahrer kommt nicht mit einer Zugänglichkeit zurecht, die nur über Stufen möglich ist. Die Stufen wären dann eine Barriere. Für blinde Menschen hingegen wäre eine Barriere, wenn vor einem Gebäudeeingang eine große Freifläche ohne irgendwelche Orientierungsmöglichkeiten hin zum Eingang existiert. Was für den Rollstuhlfahrer eine Erleichterung darstellt, kann für einen blinden Menschen ein mögliches (oder eventuelles) Hindernis sein. Hier gilt es im Entwurfsprozess des universellen Designs abzuwägen: Was ist das Beste und letztendlich für alle nutzbar? Gibt es Aspekte, die sich gegenseitig ausschließen und wie finde ich die beste Lösung dafür?

Personen benutzen Taktiles Leitsystem vor dem LVR Landesmuseum

Nicht nur ästhetisch wertvoll, sondern auch sinnvoll gestaltet: Vorplatz des LVR-LandesMuseum Bonn (hier war Dirk Michalski als Sachverständiger für barrierefreies Planen und Bauen involviert) – Orientierungssystem nach DIN anhand der Pflasterung mit hellem Granitband, die eine einfache Hinleitung zum Eingang ermöglicht.

Fotos: Johannes Zell, www.foerder-landschaftsarchitekten.de

Für Bauherren spielen Kosten ein großes Thema. Muss barrierefreies Bauen teuer sein?

Wenn man über Kosten und Barrierefreiheit spricht, muss man vor allem über Komfort sprechen. Die Frage beginnt im Kopf: Betrachtet man Barrierefreiheit als eine bauliche Maßnahme, die als ein Extra-Zusatz ausgerichtet wird – oder als etwas, was ohnehin für viele einen Komfort darstellt? Nehmen wir das Beispiel Aufzug: Ein Aufzug ist natürlich grundsätzlich ein relativ kostenintensives Bauteil, das damit im Budget eine Rolle spielt. Aber wenn ich mehrere Geschosse miteinander verbinde und zusätzlich zur Treppe einen Aufzug habe, dann finde ich den Begriff „zusätzliche Kosten“ nicht angebracht. Schließlich stellt der Aufzug für die Mutter mit Kinderwagen, für Leute mit Koffern oder auch für mobilitätsbeeinträchtigte Menschen mit Rollstuhl oder Rollator eine erhebliche Erleichterung bei der Gebäudenutzung dar. Demzufolge ist auch die Annahme, dass Barrierefreiheit das Bauen zusätzlich teuer macht, nicht angebracht. Sondern Barrierefreiheit ist in unserer heutigen technisch anspruchsvollen Zeit und der zunehmend komfortabel gewollten Welt ein normales Ausstattungsdetail. Nehmen wir das Beispiel Bad: Die barrierefreie Dusche war vor 20 Jahren etwas sehr Besonderes und daher auch verhältnismäßig teuer. Mittlerweile ist sie Standard in der Badezimmerplanung. Da wird über Mehrkosten gar nicht mehr geredet, sondern nur noch über den Komfortaspekt.

Ein Blindenleitsystem bedeutet – je nachdem, was ich für ein Problem in der Zugänglichkeit lösen muss – natürlich einen Mehraufwand, aber der richtet sich nach der Geschicklichkeit der Planung. Was ich von Anfang an mitdenke und in die Gestaltung und Planung einbeziehe, ist einfacher und ästhetisch hochwertiger umzusetzen. Das beschreibt im Grunde den Prozess des universellen Designs. Ich kann auf diese Weise zum Beispiel eine Randbegrenzung mitdenken. Wenn ich vor einem Gebäude eine Begrünung plane, um den Eingang attraktiver zu gestalten, dann kann ich den Rand des Grünbereichs geschickt und sinnvoll auch als Blindenleitkante einbeziehen und nutzen.

Wo sehen Sie die größten Missverständnisse und Versäumnisse, wenn es um barrierefreies Bauen geht?

Das größte Problem entsteht, wenn Barrierefreiheit nicht von Anfang an mitgedacht wird und dadurch später während der Nutzung des Gebäudes die Frage aufkommt, warum es möglicherweise an bestimmten Stellen nicht barrierefrei ist. Dann sind natürlich der Ärger und letztendlich der Kostenaspekt relativ groß. In der Wahrnehmung besteht dann oftmals ein Problem, das mit der Barrierefreiheit gleichgesetzt wird. Wenn die Barrierefreiheit Teil des normalen Entwurfsprozesses ist – nämlich: ich habe eine Aufgabe und suche nach der bestmöglichen Lösung –, dann kann ich in Ruhe überlegen, wie ich diese Lösung am besten hinkriege. Dann entsteht auch dieser Blick auf die Barrierefreiheit als Problem gar nicht erst. Zudem kann ich auf diese Weise auch in Ruhe nach einer möglichst preiswerten integrierten Lösung suchen und spare mir teures „Nachrüsten“.

Wie kann man für das Thema sensibilisieren, damit der Aspekt der Barrierefreiheit bei Bauprojekten automatisch mitgedacht wird?

In NRW gibt es seit dem 01.01.2020 ein verbindliches Barrierefrei-Konzept für Sonderbauten und öffentliche Gebäude. Ein funktionales Instrument, dass das Konzept des universellen Designs bei allen Beteiligten – ich sage mal – „einpflanzt“. Erstmal als kleine Pflanze, die jetzt mit der Zeit wachsen kann. Das heißt, in NRW wird das jetzt umfassend als Plan- und Textteil beim Bauantrag als Bauprüfvorlage verlangt.

Einige Bereiche sind in Gesetzen und Normen geregelt – wo müsste nachgebessert werden?

Ich persönlich bin mit dem momentanen Barrierefrei-Konzept sehr zufrieden. Wo es noch Stellschrauben gibt, die nachgezogen werden müssen, das wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Es geht auch vor allem um die Verbreitung, damit alle mehr oder weniger übereinstimmend arbeiten, und es für alle gleichermaßen verständlich ist. Von daher würde ich es sehr begrüßen, wenn das Konzept auch in allen anderen Bundesländern nach und nach zur Anwendung kommen würde. Für Europa gibt es momentan eine Norm zur Barrierefreiheit, die in Bearbeitung ist. Ich bin Mitglied des DIN - Ausschusses. Das wird aber noch dauern. Der erste Normenentwurf hat 300 Seiten. Das ist nicht praktikabel. Damit jeder damit umgehen kann, müsste das auf 30–40 Seiten beschränkt sein. Der Ursprung der Norm ging daraus hervor, dass bei Bauprojekten in Europa europaweit ausgeschrieben werden muss. Dafür soll es künftig eine Norm geben, die den Unterlagen hinzugefügt wird, damit es dahingehend eine Vergleichbarkeit gibt.

Kommen wir zum Eingangsbereich. Was gilt für Eingangsmatten?

Der Eingang ist eine besondere Gebäudesituation, die mehreren Anforderungen gerecht werden muss. Vor allem muss ich ihn gut auffinden und benutzen können. Und das aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Nehmen wir als Beispiel einen blinden Menschen und einen Rollatorfahrer. Letzterer muss sich auf den Rollator aufstützen und hat daher sehr wenig Handlungsfreiheit. Wenn wir von einer automatisch sich öffnenden Tür ausgehen, entfallen zumindest die Bedienkräfte, was schon mal eine Erleichterung darstellt. Nun geht es darum, dass der Rollatornutzer die Tür möglichst ebenerdig benutzen kann. Gleichzeitig gibt es den Zielkonflikt, dass der blinde Mensch eine taktil erfassbare Führung haben muss. Er kann mit einer völlig glatten, ebenen Fläche nichts anfangen. Für ihn ist wichtig zu merken, dass er an einem Eingang angekommen ist oder sein Ziel erreicht hat. Das lässt sich nur über eine Bodenstruktur erreichen. Wenn ich zum Beispiel von einer gepflasterten Oberfläche zu einer Eingangsmatte komme, habe ich eine leichte taktile Unterscheidbarkeit, das eine Material ist etwas weicher, das andere relativ hart. Die Eingangsmatte muss unter anderem auch den Aspekt der Entwässerung und der Säuberung darstellen, damit Schmutz und Wasser von außen nicht nach innen ins Gebäude getragen werden. Wenn nun diese Matte auch mit dem Rollator gut zu nutzen ist, habe ich für beide Personengruppen eine gute Lösung gefunden. Es gibt immer mehr gute Lösungen, aber es gibt aufgrund der Größe unseres Landes in diesem Bereich noch viel Nachholbedarf.

Sie selbst sind seit einem Unfall Rollstuhlfahrer – was ärgert oder freut Sie besonders im Zusammenhang mit barrierefrei gestalteter Architektur?

Ich begeistere mich immer für schöne, hochwertige, barrierefreie Lösungen. Die sind leider selten. Ich freue mich aber auch, wenn ganz einfache Lösungen gefunden werden. Das habe ich des Öfteren im Ausland erlebt. Zum Beispiel bei antiken Stätten oder älteren Gebäuden, die aufgrund ihres Zustands nicht ebenerdig sind. Einfache, unkomplizierte Lösungen können hier für eine barrierefreie Zugänglichkeit sorgen, beispielsweise Rampen- oder Überbrückungslösungen. Im Ausland wird das häufig mit einfachen Lösungen umgesetzt, weil einerseits nicht so viel Geld vorhanden ist, andererseits weil nicht so umfangreiche Vorschriften wie hierzulange herrschen, wo manches etwas überreguliert ist. Diese umfangreichen Vorschriften in Deutschland stehen mancher guten Lösung leider – gerade im Denkmalbereich – häufiger im Weg. Was mich ärgert? Gedankenlosigkeit. Wenn ich Dinge vorfinde, die man durch ganz einfache Lösungen deutlich besser hätte machen können.

Dirk Michalski im Portrait:

  • Mitglied im DIN-Normenausschuss Bauwesen Barrierefreies Bauen des DIN Institut e.V. in Berlin für die Normen DIN 18040 - 1,2,3
  • Mitglied im Bundesverband Deutscher Sachverständiger und Fachgutachter BDSF
  • Kurator der IDM-Stiftung
  • Mitglied in EDAD Design für Alle – Deutschland e.V.
  • DIN CERTCO geprüfter Fachplaner für barrierefreies Bauen – DIN 18040 - 1,2,3
  • Fachexperte für den Bereich Bauen und Wohnen
  • Mitglied der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen

Mehr unter www.barriere-frei-bauen.de

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